Kodjo Joel Hounkpe über seinen Werdegang & Studium bei uns
- Nick Nordmeier
- 2. Okt.
- 13 Min. Lesezeit
Teil 1: Meine Wurzeln
„Wenn ich heute auf mein Leben zurückblicke, sehe ich einen Weg voller Entschlossenheit, Lernen und unerschütterlichem Glauben daran, dass Bildung die Welt verändern kann – auch meine eigene.“
Ich bin Kodjo Joel Hounkpe und komme aus Togo, einem kleinen Land in Westafrika. Meine Geschichte beginnt in einer Umgebung, in der Bildung nicht selbstverständlich ist, aber von mir und meiner Familie sehr geschätzt wurde. Ich war ein neugieriger Junge, offen für Sprachen und Kultur. Schon früh entdeckte ich meine Begeisterung für Deutsch – eine Sprache, die in Togo nicht alltäglich ist, aber mich sofort faszinierte. Während meiner Schulzeit war ich nicht nur ein aktives Mitglied des Deutschklubs, sondern durfte diesen sogar als Vorsitzender leiten. Meine Begeisterung zahlte sich aus: In meiner Abiturprüfung 2016 erreichte ich in Deutsch die nahezu perfekte Note von 19 von 20 Punkten. Für mich war klar – ich wollte tiefer in die deutsche Sprache eintauchen. So begann ich noch im selben Jahr mein Germanistikstudium an der Universität Lomé. Die ersten Semester liefen ausgezeichnet: Ich bestand alle meine Kurse mit sehr guten Noten und war unter den besten fünf Studierenden meiner Abteilung – bei über 500 eingeschriebenen Studierenden.
Teil 2: Vom Germanistik-Student zum FSJ in Deutschland
„Ich wollte nicht nur die deutsche Sprache lernen – ich wollte sie leben.“
Nachdem ich in Togo mein Germanistikstudium an der Universität Lomé begonnen hatte, lief zunächst alles sehr gut. In den ersten vier Semestern konnte ich meine Leistungen halten und war weiterhin unter den besten Studierenden meiner Abteilung. Mein Ziel war klar: Ich wollte Lehrer für Deutsch werden. Aber je weiter das Studium fortschritt, desto stärker spürte ich, dass etwas fehlte. Wir lernten die deutsche Sprache – aber ohne direkten Kontakt zu Muttersprachlern blieb sie für uns weitgehend Theorie. Ich wollte mehr. Ich wollte die Sprache im Alltag erleben, sie im echten Leben anwenden, die Kultur verstehen. So begann ich, nach Wegen zu suchen, wie ich nach Deutschland kommen könnte. Ich hörte vom Freiwilligendienst (FSJ) – eine Möglichkeit, für ein Jahr in einer sozialen Einrichtung in Deutschland mitzuarbeiten. Die Herausforderung: Ich war nicht in Deutschland und hatte keine persönlichen Kontakte zu Trägern. Damals war es in Togo nicht einfach, Zugang zum Internet zu bekommen. Also ging ich regelmäßig in ein kleines Cybercafé, kaufte mir Stunden, recherchierte deutsche Trägerorganisationen und begann, mich selbstständig zu bewerben – ohne Hilfe, ohne Agentur, ohne Garantie auf Erfolg. Ich schrieb über 50 Bewerbungen. Immer wieder kam die gleiche Absage: „Leider können wir Sie nicht berücksichtigen, da Sie sich nicht in Deutschland befinden.“ Enttäuscht war ich nicht. Im Gegenteil: Es machte mich nur entschlossener. Ich bewarb mich weiter, bis endlich die erlösende Nachricht kam: Eine Organisation lud mich zum Online-Vorstellungsgespräch ein. Das Gespräch lief sehr gut – sie waren von meinem Deutsch beeindruckt und boten mir einen Platz in einem Kindergarten an. Ursprünglich hatte ich gehofft, mein FSJ in einem Krankenhaus machen zu können, aber ich war dankbar für die Chance – und nahm das Angebot an. Kurz vor meiner Ausreise nach Deutschland machte ich noch eine ganz besondere Erfahrung: Ich half bei einem Forschungsprojekt deutscher Studierender in Togo als Dolmetscher mit. Ich übersetzte zwischen Ewe und Deutsch – eine intensive und spannende Erfahrung, bei der ich erstmals miterlebte, wie wissenschaftliche Feldforschung abläuft. Dann kam der große Tag: Im Oktober 2018 landete ich in Deutschland – bereit für mein FSJ in einem Kindergarten. Ich war der einzige Mann im Team, aber die Kinder nahmen mich sofort ins Herz. Besonders das gemeinsame Fußballspielen machte ihnen (und mir) große Freude. Was ich damals noch nicht wusste: Dieses Jahr würde mein ganzes Leben verändern – beruflich, sprachlich und menschlich.

Teil 3: Zwischen Kindergarten und Kulturschock
„Ich war da – aber der Weg hatte gerade erst begonnen.“
Als ich im Oktober 2018 zum ersten Mal deutschen Boden betrat, hatte ich große Hoffnungen und viel Motivation im Gepäck. Mein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Kindergarten startete vielversprechend: Die Kinder begegneten mir mit Offenheit und Neugier. Ich war der einzige Mann im Team – und schnell wurde ich „der große Bruder“, der mit den Kindern spielte, bastelte und Fußball spielte. Ich fühlte mich wohl. Endlich konnte ich mein Deutsch in echten Gesprächen anwenden. Ich lernte neue Wörter – nicht aus Büchern, sondern direkt im Alltag, auf dem Spielplatz, bei Elterngesprächen, in Teambesprechungen. Und doch war alles neu: das Wetter, das Essen, die Mentalität, die Bürokratie. Deutschland war nicht nur ein neues Land – es war eine neue Welt. Ich lernte, wie pünktlich Züge abfahren, wie wichtig Termine sind, und dass ein Lächeln nicht immer automatisch ein Gespräch bedeutet. Ich erlebte Offenheit, aber auch Zurückhaltung. Und wie bei vielen, die neu in ein fremdes Land kommen, gab es auch schwierige Momente. Nach etwa sechs Monaten musste ich mein FSJ im Kindergarten abbrechen – es gab Probleme mit meiner damaligen Gastfamilie. Für mich war das ein harter Einschnitt, denn ich hatte mich gut eingelebt. Aber ich wusste: Aufgeben war keine Option. Mein Träger suchte gemeinsam mit mir nach einer neuen Einsatzstelle. Und genau hier kam die Wendung, die meinen weiteren Lebensweg entscheidend prägte: Ich erhielt eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bei VitosHochtaunus. Der Pflegedirektor, Herr Kuschel, empfing mich persönlich. Das Gespräch verlief sehr positiv – er war beeindruckt von meinem Engagement und meinem Sprachniveau. Ich erklärte ihm, dass ich nicht nur mein FSJ absolvieren, sondern im Anschluss gerne eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflege beginnen würde.
Er erzählte mir von der Kooperation zwischen Vitos und der Steinbeis Universität Marburg: Ab dem zweiten Ausbildungsjahr könnten Auszubildende dort mit einem Stipendium parallel studieren – ein dualer Weg mit echter Perspektive. Ich war begeistert. Studieren in Deutschland? Das klang für viele unmöglich – besonders für jemanden, der noch mit der Sprache kämpfte. Aber ich wusste in diesem Moment: Ich will das schaffen. Und ich werde es schaffen.
Teil 4:– Pflegeausbildung und Stipendium
„Manche Chancen bekommt man nur einmal – und ich war bereit, alles zu geben.“
Nach dem erfolgreichen Vorstellungsgespräch bei Vitos begann ich mein zweites FSJ – diesmal nicht im Kindergarten, sondern direkt im Klinikalltag. Ich arbeitete mit Pflegekräften, begleitete Patient:innen, lernte die Abläufe auf den Stationen kennen. Es war eine völlig neue Erfahrung – aber sie fühlte sich richtig an. Ich wusste: Hier will ich bleiben. Hier will ich lernen. Im Oktober 2019 begann ich meine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflege bei Vitos. Ich war entschlossen, nicht nur die Ausbildung zu bestehen, sondern auch mein Ziel weiterzuverfolgen: ein Studium an der Steinbeis Universität Marburg. Von Anfang an war mir klar, dass der Weg hart werden würde. Die Ausbildung war anspruchsvoll, dazu kam die Sprachbarriere – Fachbegriffe, Dokumentationen, Gespräche mit Ärzt:innen und Patient:innen. Es war oft anstrengend, aber ich hatte ein klares „Warum“ vor Augen: Ich wollte etwas bewegen – für mich, für andere, für die Pflege. Ich lernte viel, nahm jede Herausforderung an, und ich gab nicht auf. Im Gegenteil: Ich strengte mich besonders an, schrieb gute Noten, zeigte Einsatz – denn ich wusste, dass ich mich mit diesen Leistungen für das Stipendium an der Steinbeis Universität bewerben konnte. Manche meiner Mitlernenden zweifelten an mir.
„Wie willst du das schaffen? Studium und Ausbildung gleichzeitig?“
„Du hast doch eine Sprachbarriere.“
„Selbst Deutsche brechen das Studium ab – und du willst es durchziehen?“
Aber ich hörte nicht auf sie. Ich hörte auf meine eigene Stimme – auf meine Vision. Ich bewarb mich – und wurde angenommen. Ich bekam das Stipendium und wurde in das Studienprogramm Advanced Nursing Practice (ANP)aufgenommen. Ein Moment voller Stolz. Ich durfte offiziell an einer deutschen Universität studieren – und das sogar parallel zur Ausbildung. Ich fühlte mich getragen – von meiner Motivation, aber auch von der Unterstützung der Steinbeis Universität Marburg. Trotz der Corona-Zeit waren die Online-Vorlesungen gut strukturiert, es gab Gruppenarbeiten, digitale Präsentationen und einen engen Austausch mit Dozierenden. Ich war nicht allein – ich war Teil einer Lerngemeinschaft. Der Traum, den ich in einem Cybercafé in Togo begann, nahm immer mehr Gestalt an.

Teil 5: Doppelbelastung
„Wenn du dein Warum kennst, findest du ein Wie – auch wenn es schwer wird.“
Die Kombination aus Ausbildung und Studium war für viele meiner Umgebung kaum vorstellbar – besonders für jemanden wie mich, der sich in einem neuen Land, mit einer neuen Sprache und ohne familiäre Unterstützung durchkämpfte. Doch genau das tat ich: kämpfen, lernen, weitermachen. Der Alltag war anspruchsvoll. Tagsüber arbeitete ich auf Station, betreute Patient:innen, dokumentierte Pflegeprozesse und war Teil des Pflegeteams. Nach Feierabend öffnete ich mein Laptop und lernte. Für die Seminartage an der Steinbeis Universität Marburg. wurde ich von meinem Arbeitgeber befreit. Es war anstrengend, keine Frage. Aber es war auch erfüllend. Ich lernte nicht nur theoretisches Wissen, sondern sah direkt, wie ich es in der Praxis anwenden konnte. Das Studium Advanced Nursing Practice gab mir neue Perspektiven auf Pflege, auf Kommunikation, auf Führung und Verantwortung. Die Unterstützung durch die Steinbeis Universität war in dieser Zeit besonders wertvoll. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen durch die Corona-Pandemie waren die Online-Kurse professionell organisiert, die Plattform funktionierte stabil, und es gab stets Ansprechpartner:innen. Ich erinnere mich besonders an die Gruppenarbeiten, bei denen ich mit Kommiliton:innen aus verschiedenen Krankenhäusern zusammenarbeitete. Wir trafen uns virtuell, diskutierten Pflegekonzepte, erarbeiteten Präsentationen und lernten voneinander. Ich fühlte mich integriert, gehört und gesehen – als Teil einer echten Lerngemeinschaft. Viele meiner Kolleg:innen konnten nicht glauben, dass ich diesen Doppelweg wirklich gehe – Ausbildung und Studium. Doch ich wusste, warum ich es tat: weil ich Verantwortung übernehmen möchte, weil ich Pflege aktiv mitgestalten will und weil ich jungen Menschen mit Migrationshintergrund zeigen will: Es ist möglich.
Und so kämpfte ich mich durch. Mit Disziplin, Durchhaltevermögen und dem tiefen Glauben daran, dass sich jeder Einsatz irgendwann auszahlt. Im September 2022 war es soweit: Ich schloss meine Ausbildung erfolgreich ab – als examinierter Gesundheits- und Krankenpfleger. Aber mein Weg war noch nicht zu Ende. Mein nächstes Ziel rückte näher: der Bachelorabschluss. Und ich war bereit dafür.
Teil 6: Bachelor & Berufseinstieg
„Ich habe nicht nur einen Abschluss gemacht – ich habe mein Selbstvertrauen zurückgewonnen.“
Mit dem erfolgreichen Abschluss meiner Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpfleger im September 2022 begann ein neues Kapitel in meinem Leben. Ich war endlich angekommen – beruflich, sprachlich, kulturell. Doch mein akademischer Weg war noch nicht abgeschlossen: Mein Bachelorstudium an der Steinbeis Universität Marburg ging weiter.
Während ich nun als examinierter Pfleger arbeitete, widmete ich mich intensiv meiner Bachelorarbeit. Ich wollte ein Thema wählen, das nicht nur fachlich relevant war, sondern auch meine persönliche Erfahrung widerspiegelte. So entschied ich mich für:
„Auswirkung der Sprachbarriere bei Pflegenden mit Migrationshintergrund in der Psychiatrie in Deutschland.“
Ein Thema, das mir am Herzen lag – weil ich selbst erlebt hatte, wie herausfordernd es ist, sich im Pflegealltag verständlich zu machen, besonders in sensiblen Bereichen wie der Psychiatrie. Ich fühlte mich bei der Bearbeitung meiner Arbeit nicht allein. Die Steinbeis Universität stand mir weiterhin unterstützend zur Seite. Frau Prof. Dr. Weber, meine Betreuerin, war ein zentraler Anker. Sie begleitete mich durch den Rechercheprozess, half mir, meine Gedanken zu strukturieren, und motivierte mich, auch bei Schreibblockaden nicht aufzugeben. Die Studienberatung war regelmäßig, professionell und persönlich. Ich fühlte mich ernst genommen – als Student, als Fachperson, als Mensch. Im September verteidigte ich schließlich meine Bachelorarbeit – und bestand mit einer guten Note. Ein Moment des Stolzes. Ich ließ mich zusätzlich zum Integrationsberater weiterbilden – denn ich wollte anderen mit ähnlichem Hintergrund helfen, ihren eigenen Weg zu finden. Rückblickend war der Bachelorabschluss nicht nur ein akademischer Meilenstein. Er war ein Symbol für alles, was ich überwunden hatte – und ein Sprungbrett in die nächste Etappe meines Bildungsweges: der Master.

Teil 7: Engagement in der Pflege-Community
„Ich habe gelernt, dass meine Geschichte nicht nur meine eigene ist – sondern auch die vieler anderer.“
Nach meinem Bachelorabschluss war ich nicht mehr derselbe Mensch wie zu Beginn meiner Reise. Ich war gewachsen – beruflich, sprachlich und persönlich. Und ich spürte eine neue Verantwortung: meine Erfahrungen zu teilen und anderen Mut zu machen. Ich wusste, dass es viele gibt, die ähnliche Wege gehen wollen – Menschen mit Migrationsgeschichte, junge Pflegekräfte, Quereinsteiger:innen. Viele von ihnen zweifeln, fühlen sich allein oder überfordert. Genau diesen Menschen wollte ich zeigen: Es ist möglich.
So wurde ich aktiver denn je: ich teilte meine Geschichte auf LinkedIn, wo ich über meine Ausbildung, mein Studium, meine Bachelorarbeit und meine Erfahrungen berichtete, ich nutzte Instagram und TikTok, um auf unterhaltsame und zugängliche Weise über Pflegeberufe, Bildungschancen und Integration zu sprechen, ich war auf Pflegekongressenpräsent – als Besucher, aber auch als Sprecher. Ich stellte meine Bachelorarbeit vor und diskutierte mit anderen Fachpersonen über Herausforderungen und Chancen im Pflegealltag.
Durch diese Sichtbarkeit entstanden wertvolle Kontakte und Netzwerke. Ich kam mit Pflegewissenschaftler:innen, Lehrenden, Führungskräften und anderen engagierten Pflegenden ins Gespräch. Immer wieder bekam ich Rückmeldungen wie:
„Danke, dass du das sagst – das habe ich auch erlebt.“
„Deine Geschichte motiviert mich, nicht aufzugeben.“
„Es ist gut zu sehen, dass jemand wie du erfolgreich sein kann.“
Ein besonders bedeutender Moment war das Treffen mit Frau Prof. Dr. Weber auf einem Kongress, die mich bereits im Bachelorstudium betreut hatte. Auf einem Kongress sagte sie mir offen, dass sie großes Potenzial in mir sieht – und dass ich über ein Masterstudium nachdenken sollte. Zunächst war ich unsicher. Noch einmal studieren? Noch mehr Zeit, noch mehr Verantwortung? Aber in meinem Inneren wusste ich bereits: Ja. Ich will. Denn Bildung hatte mein Leben verändert. Und ich wollte trotz meiner Sprachbarriere weitergehen – nicht nur für mich, sondern auch für all jene, die sich von meinem Weg inspiriert fühlen. Auf einem Pflegekongress in Berlin kam dann der nächste Wendepunkt: Ich traf Frau Gaßmann, die sehr stolz auf mich war und bot mir ein Stipendium für den Master in Pflegemanagement an – erneut an der Steinbeis Universität Marburg. Ich war überrascht – und gleichzeitig tief bewegt. Ich spürte: Das ist eine neue Chance. Eine Möglichkeit, nicht nur in der Praxis gute Pflege zu leisten, sondern auch auf strategischer Ebene mitzudenken, zu gestalten und zu führen.
Teil 8: Masterstudium mit Stipendium
„Manchmal öffnen sich Türen, von denen man nicht einmal wusste, dass sie existieren – wenn man bereit ist, weiterzugehen.“
Seit Dezember 2024 studiere ich nun Pflegemanagement im Master an der Steinbeis Transfer Universität Marburg – und wieder bin ich Teil einer Gemeinschaft, die sich gegenseitig stärkt. In unserem Studiengang sind wir 16 Studierende– mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen, Perspektiven und Erfahrungen. Was uns verbindet: der Wunsch, etwas in der Pflege zu bewegen. Schon nach wenigen Wochen spürte ich, dass dieses Studium genau das richtige Format für mich bietet: die Seminare sind praxisnah und gut strukturiert, wir arbeiten viel im Team, entwickeln gemeinsam Projekte, es gibt Transferarbeiten, bei denen wir das Gelernte direkt auf unsere berufliche Praxis anwenden und der Austausch mit Kommiliton:innen ist intensiv, ehrlich und bereichernd. Bis jetzt bin ich mit den Ergebnissen sehr zufrieden. Ich wachse fachlich, methodisch und persönlich – und spüre, wie mein Blick auf die Pflege sich noch einmal erweitert. Mein Ziel? Nicht nur Pflege zu managen – sondern Pflege mit Herz und Verstand weiterzuentwickeln. Und anderen Mut zu machen, diesen Weg ebenfalls zu gehen.
Teil 09: Mein Ziel
„Pflege ist mehr als ein Beruf. Sie ist eine Haltung. Und ich bin bereit, Verantwortung zu übernehmen.“
Wenn ich heute auf meinen Weg zurückblicke – von Togo nach Deutschland, vom Germanistikstudenten zum examinierten Pfleger, vom Bachelor- zum Masterstudium – dann sehe ich keine gerade Linie. Ich sehe Hürden, Entscheidungen, Zweifel und Mut. Aber vor allem sehe ich eines: Entwicklung. Mein Studium an der Steinbeis Transfer Universität Marburg ist für mich mehr als eine akademische Qualifikation. Es ist eine Haltung zur Pflege, zur Führung und zur Weiterentwicklung unseres Berufsstandes. Ich lerne nicht nur, wie man Prozesse effizient gestaltet – ich lerne, wie man Menschen mitnimmt, Verantwortung trägt und Veränderung ermöglicht. Ich weiß: In der Pflege stehen wir vor enormen Herausforderungen – Fachkräftemangel, Überlastung, fehlende Wertschätzung, kulturelle Spannungen im Team und Sprachbarrieren. Aber ich sehe darin nicht nur Probleme – sondern auch Chancen zur Gestaltung. Mit meinem Hintergrund, meinen Erfahrungen und meiner Ausbildung möchte ich Menschen mit Migrationshintergrund gezielter in die Pflege integrieren, die Zusammenarbeit in multikulturellen Pflegeteams fördern, Sprach- und Kommunikationsbarrieren abbauen und zur Führungspersönlichkeit werden, die Wandel verantwortungsvoll begleitet.
Ich bin überzeugt: Die Pflege der Zukunft braucht nicht nur Hände – sie braucht Köpfe. Und Herzen. Daher möchte ich nicht stehen bleiben. Nach meinem Master will ich weiterhin aktiv sein – in der Praxis, in der Bildung, in der Beratung. Ich möchte anderen Mut machen, ihr eigenes Potenzial zu erkennen – unabhängig von Herkunft, Sprache oder Lebensweg. Die Steinbeis Universität hat mir nicht nur Wissen vermittelt, sondern Zugang zu Möglichkeiten eröffnet. Und ich hoffe, dass viele andere diesen Weg ebenfalls gehen – mit Neugier, Kraft und dem Vertrauen, dass jede Hürde auch ein Sprungbrett sein kann.
Teil 10: Das Interview
Sie sind in Togo aufgewachsen, haben dann in Deutschland studiert - was sind Ihrer Erfahrung nach die größten Unterschiede zwischen der Pflegepraxis und dem Umgang mit Patient:innen in Togo und in Deutschland?
Der größte Unterschied liegt im Versicherungssystem. In Deutschland besteht Versicherungspflicht, sodass jede:r Patient:in Anspruch auf medizinische Versorgung hat. In Togo hingegen sind nur wenige Menschen krankenversichert – meist Staatsangestellte oder Personen mit hohem Einkommen. Viele Patient:innen müssen Behandlungen sofort bar bezahlen. Dies führt leider oft dazu, dass notwendige Therapien nicht in Anspruch genommen werden können und Menschen ihr Leben verlieren. Ein weiterer Unterschied betrifft die Verfügbarkeit von Ressourcen. In deutschen Kliniken ist Sauerstoff in großem Umfang vorhanden – manchmal sogar so selbstverständlich, dass Patient:innen Geräte unbeaufsichtigt laufen lassen. In Togo dagegen sterben täglich Patient:innen, weil Kliniken keinen Sauerstoff haben oder die Kosten dafür nicht getragen werden können. Auch die Rolle der Pflegekräfte unterscheidet sich stark. In Togo ist Pflege ein dreijähriges Studium, und Pflegekräfte übernehmen dort viele Aufgaben, die in Deutschland Ärzt:innen vorbehalten sind. Die Verantwortung ist groß, gleichzeitig fehlt aber oft eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten. Besonders deutlich sind für mich die Unterschiede in der Psychiatrie. In Togo gibt es nur wenige spezialisierte Einrichtungen, und Patient:innen haben dort längst nicht die gleichen Rechte wie in Deutschland. Häufig wird mit restriktiven und teils gewaltsamen Maßnahmen gearbeitet, während in Deutschland Deeskalation, Teilhabe und Würde im Vordergrund stehen.
Gab es eine Begegnung oder ein Erlebnis mit Patient:innen oder Kolleg:innen, das Sie persönlich besonders bewegt hat und Ihnen die Entscheidung, Advanced Nursing Practice zu studieren, bestätigt oder bestärkt hat?
Ein entscheidender Moment war die Begegnung mit meinem Pflegedirektor, Herrn Kuschel. Schon länger hatte ich den Wunsch, in Deutschland weiter zu studieren. In einem persönlichen Gespräch stellte er mir das Studienangebot der Steinbeis-Hochschule vor – Advanced Nursing Practice. Ich informierte mich intensiv und erkannte, dass dieses Studium mir die Möglichkeit bietet, die Pflegequalität nachhaltig zu verbessern und Patient:innen auf einem höheren fachlichen Niveau zu versorgen. Auch mein Stationsleiter, Herr Müller, war ein großes Vorbild. Er hatte denselben Studiengang absolviert. Die Art, wie er sein Wissen einbrachte, Entscheidungen fundiert traf und das Team unterstützte, hat mich nachhaltig beeindruckt. Dadurch wurde mein Wunsch gestärkt, selbst mehr Verantwortung zu übernehmen und nicht nur als Pflegekraft, sondern auch als Gestalter der Pflege zu wirken.
Ein prägendes Erlebnis mit Patient:innen hatte ich während meines FSJ. Aufgrund meiner noch geringen Sprachkenntnisse konnte ich mit einem Patienten nicht gut kommunizieren. Er wandte sich schließlich an Mitpatient:innen mit den Worten, sie sollten nicht zu mir gehen, da ich nichts verstehen würde. Diese Erfahrung hat mich stark bewegt und motiviert, mich im Studium auch mit der Auswirkung von Sprachbarrieren bei Pflegenden mit Migrationshintergrund auf die Qualität der Pflege in der Psychiatrie zu beschäftigen.
Welche Unterstützung hätten Sie sich speziell im Bereich Pflege hinsichtlich Ihres Studiums und der Integration ins studentische Leben und Berufsalltag gewünscht, damit Ihnen das Ankommen und Durchstarten leichter gefallen wäre?
Rückblickend hätte ich mir mehr Motivation und Unterstützung aus meinem Umfeld gewünscht. Stattdessen erlebte ich oft Skepsis oder gar Demotivation. Studierende Pflegekräfte sehen sich nicht selten mit Vorurteilen konfrontiert. Häufig werden wir als „Alleskönner“ betrachtet: Sobald es ein Problem gibt, heißt es, „frag den Akademiker, der weiß das“. Wenn man dann einmal etwas nicht weiß, reagieren viele enttäuscht und sagen: „Wie kannst du das nicht wissen, das lernt ihr doch an der Uni?“ Diese Haltung zeigt, dass viele Kolleg:innen ohne akademische Ausbildung falsche Vorstellungen von den Inhalten des Studiengangs haben. Dadurch fühlt man sich manchmal isoliert oder sogar diskriminiert. Eine bessere Aufklärung in den Teams über Ziele und Nutzen von Advanced Nursing Practice sowie eine Kultur der gegenseitigen Unterstützung hätten mir das Ankommen im Studium und den Einstieg in den Berufsalltag wesentlich erleichtert.