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Heilkundliche Pflege – Rechtliche Grauzonen und hochschulischer Nachholbedarf

Leseempfehlung by Prof. Dr. Ruth Anna Weber



In der aktuellen Diskussion rund um die rechtliche Stellung der Pflegeberufe kristallisiert sich ein zentrales Spannungsfeld heraus: Die berufsrechtliche Entwicklung im Leistungserbringerrecht, insbesondere im SGB V, bleibt hinter der Realität der pflegerischen Versorgung zurück. Prof. Dr. Andreas Weiß bringt es in einem Springer Artikel prägnant auf den Punkt: Der Gesetzgeber ist gefordert, heilkundliche Tätigkeiten der Pflege nicht nur rechtlich zu regeln, sondern auch bildungspolitisch in den hochschulischen Kontext zu überführen.


Bereits das Bundesverfassungsgericht erkannte 2002 in einem Urteil zur Altenpflege an, dass Pflege zu den Heilberufen zählt – auch wenn das Pflegeberufegesetz (PflBG) dies nicht ausdrücklich festschreibt. Diese Einordnung hat Konsequenzen: Wer heilkundlich tätig ist, braucht eine rechtlich fundierte, ausbildungsintegrierte Qualifikation – eine, die über bloße Delegation hinausgeht.


Doch die aktuelle Praxis der sogenannten "qualifikatorischen Erweiterung" bleibt weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Die hochschulische Ausbildung fokussiert sich derzeit auf drei Krankheitsbilder – Diabetes, chronische Wunden und Demenz – als Voraussetzung für heilkundliche Aufgaben gemäß dem Modellvorhaben von 2012 § 63 Abs. 3c SGB V. Diese Engführung ignoriert die Vielschichtigkeit der pflegerischen Praxis: Pflege findet nicht nur in diesen drei Feldern statt, sondern umfasst ein breites Spektrum an hochkomplexen Versorgungsbedarfen – insbesondere in der Geriatrie, Onkologie, Psychiatrie oder der palliativen Versorgung.


Schon heute sehen die rechtlichen Grundlagen (z. B. § 63 SGB V oder § 14 PflBG) die Möglichkeit heilkundlicher Aufgaben durch Pflegefachpersonen vor teilweise durch Modellvorhaben, teilweise durch Delegation. Damit bleibt ein gefährliches Vakuum: Die Pflege soll mehr leisten, aber bekommt keine klare Rolle und keine ausreichende Qualifizierung.


Die Pflege kann nicht dauerhaft in einem Zwischenraum von „delegierter Tätigkeit“ und „heilkundlicher Eigenverantwortung“ agieren. Wenn Pflegefachpersonen durch ein Studium auf akademischem Niveau ausgebildet werden, dann muss dieses Studium auch auf eine rechtsverbindliche Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten vorbereiten – über Modellprojekte hinaus, dauerhaft und rechtlich verankert.


Die beschränkte Ausweitung heilkundlicher Kompetenzen auf drei Krankheitsbilder ist in diesem Licht keine Lösung, sondern eine Verzögerung echter Berufsentwicklung. Die Steinbeis Hochschulen sieht hier eine Chance, mit integrativen und interdisziplinären Curricula neue Maßstäbe zu setzen – und damit nicht nur Pflege zu stärken, sondern Versorgung insgesamt neu zu denken.

 
 
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